Der Albanische Achter: vier Wochen von 2014

Road Trip 2014 - wer rastet, der rostet!


Mein „Tag eins“ beginnt am Frankfurter Flughafen. Der Rest der Truppe – meine Familie mit „Erich“, dem dicken grünen Landcruiser und Lunus, dem Hund und eine weitere Familie mit Hilux - ist schon fast eine Woche unterwegs und soll mich in Dubrovnik vom Flughafen abholen. Das klappt auch alles prima, das kleine Flugfeld liegt auf einem Plateau über dem Meer: meint man zunächst, noch weit in der Luft zu schweben, rückt plötzlich der Boden ganz nah, man fliegt grasenden Schafen über den Pelz und hat unversehens wieder festen Grund unter den rumpelnden Rädern. Flughafenbusse wären eigentlich nicht nötig, sehen auch nur aus wie halbe ICE-Züge im Playmobilformat, und erst nach dem glücklichen Wiedersehen mit der Familie bekomme ich erzählt, dass der Flughafen von Dubrovnik als einer der schwierigsten für den Landeanflug gilt…

der "Spiderman"
der "Spiderman"
Was heisst Tartar auf DEutsch?
Was heisst Tartar auf DEutsch?
Minengefahr in Kroatien
Minengefahr in Kroatien

Zwischen Kroatien und Montenegro


Auf dem Weg nach Montenegro lasse ich mir von den Offroad-Abenteuern in Kroatien berichten, Velebit, Naturschutzgebiete, Übernachten auf 1600 m.ü.M., das war schon ein ganz gutes Programm.
Es fehlt bereits die Heckscheibe des Pick-up-Canopis, und unsere Frontscheibe trägt einen derben Sprung, der im weiteren Verlauf der Reise liebevoll „Spiderman“ genannt wird…
Nach diesen Strapazen soll es heute mal eine Hotelübernachtung werden, und im Nationalpark Lovcen werden wir auch fündig. Die Fährenüberfahrt über den Meeresarm kennen wir schon, wie immer ist es malerisch und turbulent, aber die wunderschöne Aussicht beim Anstieg in die Berge wird uns von einem tobenden Gewitterregen vermiest. Zum Glück findet sich eine Gastronomie am Wegesrand, und wir können im Trockenen speisen. Das Wetter bleibt ein wenig unstet, offenbar war es im Handgepäck dabei.

Albanien, die erste


Am nächsten Tag nähern wir uns der albanischen Grenze. Zunächst war der Plan, über Gusinje einzureisen, aber da sowohl die Bergregion von Theth als auch von Valbona nur von Süden anfahrbar ist, beschließen wir, direkt hinter Podgorica nach Hani e Hotit einzureisen. Wir folgen der Strasse, die nun leider schon weitgehend geteert ist, nach Norden Richtung Vermosh, in der Hoffnung, einen Quereinstieg Richtung Theth zu finden. Das bewahrheitet sich leider nicht, und nachdem wir das Tal des Cem bis zum Ende der Befahrbarkeit erkundet haben, drehen wir um und fahren südwärts. Die Beschilderung nach Borge 10 km erweist sich als Täuschung, nach etlichen Viehgattern bereitet ein Pickup, das umumfahrbar im Weg steht, der Exkursion ein Ende.

A Busman's Holiday


Unsere Mitreisenden hatten weiter unten gewartet und bereits Bekanntschaft mit den Einheimischen gemacht, Nardi, der in England lebt und arbeitet, erweist sich als großzügiger Gastgeber, der uns erst einmal „zum Kaffee“ in die örtliche Kneipe schleppt – wir lernen, dass der Albaner immer „Kaffee“ trinkt, wenn es gesellig sein soll. Das Getränk spielt hierbei keine Rolle und kann Spuren von Alkohol enthalten.
Nachdem der Tag schon Richtung Abend geht, bietet er an, dass wir auf seinem Grundstück campen dürfen. Zu unserer Beschämung werden dann noch riesige Mengen Essen aufgefahren, die wir in unserem Camp verspeisen sollen. Nachbarskinder bringen frische Milch, und die Kinder können im Stall beim Melken zusehen.
Nur der Gastgeber macht nicht so richtig mit – auf Nachfragen erfahren wir, dass er in Sorge um ein Pferd ist, das Kolik hat. Es ist das Lieblingspferd seines Vaters, ein schlankes, braves junges Schimmelchen, und der Tierarzt kann frühestens am nächsten Vormittag kommen. Das beendet natürlich auch unser Mahl, und mein Mann geht barfuß durch den Agronomie-Schlamm zum Einsatz.
Leider findet sich kein passender Schlauch, um eine Nasenschlundsonde zu legen, also bleibt nur die Improvisation: Eine Garnisonsdosis Metamizoltabletten aufzulösen und dem armen Kerlchen einzuflößen.
Nachdem dies geschafft ist, gehen wir zum Auto zurück. Die Kinder und die Mitreisenden schlafen bereits, und wir schaffen gerade noch, unsere Sachen vor dem einsetzenden Unwetter zu retten, denn an unsere offene Heckklappe hat natürlich keiner gedacht. Das Gewitter tobt die ganze Nacht, hat aber zur Folge, dass das permanente Hundegebell, Hahnengeschrei und Eselgewiehere währenddessen aussetzt.
Morgens sind wir leicht angefeuchtet, aber es klart auf und wir trinken einen Kaffee.
Die Besserung scheint nicht nur das Wetter zu erfassen: auch der kleine Patient hat seine Innereien wieder in Ordnung bekommen. Unser Gastgeber berichtet, dass das Pferd am Morgen gute Verdauung hatte und wieder geheilt sei. Der Tierarzt sei bereits abbestellt, teilt er uns mit und überreicht eine Colaflasche mit klarem Inhalt, von der wir gleich probieren müssen… brrr am frühen Morgen, es ist ein Schnaps, den er „Rocky“ nennt – wahrscheinlich die albanische Variante von Raki… wir freuen uns über die guten Nachrichten und gleichzeitig besänftig es natürlich unser schlechtes Gewissen angesichts so viel Gastfreundschaft – Pferd gerettet und Tierarzt gespart war sicher auch für unseren neuen albanischen Freund kein Zuschussgeschäft. Mit vielen Küssen und guten Wünschen und einer genauen Routenbeschreibung versehen machen wir uns auf den Weg nach Theth.

Theth...


Das Wetter wird zusehends besser, und die Straße zusehends schlechter. Die letzte Etappe nach Theth ist dann nur noch feldwegartig, aber recht bevölkert: eine Offroad-Gruppe, die wir bereits in Montenegro gesehen hatten, kommt uns entgegen, und auch eine Vielzahl von den landesüblichen Kleinbussen schwäbischer Fertigung. Einer davon kommt uns mit Affenzahn um einen Felsvorsprung entgegen und muss eine Vollbremsung hinlegen, um nicht mit uns zu kollidieren. Vorsicht ist also Mutter der Rappelkiste, aber das entspricht ja internationalen Gepflogenheiten.
Nach einer kurzen Frühstückspause fahren wir voraus nach Theth, wo wir pausieren und auf unsere Mitreisenden warten. Nach dem Minibuserlebnis etwas unruhig, muss man dazusagen. Unzählige Telefonversuche und SMS mit Standortmeldungen später verfolgen wir das Flusstal erst ein Stück Richtung Valbona, um dann zurückzufahren und hinter Theth an einem Wasserfall unser Nachtlager aufzuschlagen.

Alleinreisend


Auch am nächsten Morgen keine Nachricht, also fahren wir langsam weiter, den südlichen Ausstieg aus dem Theth-Tal verfolgend.
Dieser Weg ist nun tatsächlich eine schöne Offroad-Geschichte, eng und malerisch, und im nördlichen Teil wird klar, warum manch ein Reiseführer davon abrät, hier mit mehr als 2,00 m Breite und 2,50 m Höhe aufzuwarten.
Hier war auch die einzige Sichtbarkeit von Staatsmacht: beim Ausfahren aus dem Theth-Tal kamen uns zwei Polizei-Kleinbusse entgegen, und am Talausgang wurden alle Fahrzeuge kontrolliert.
Auf einer Passhöhe machen wir Rast und hören nach einiger Zeit ein vertrautes Motorengeräusch, unsere Reisegefährten haben aufgeschlossen, allerdings nur, um uns ihre Gesellschaft aufzukündigen. Wenigstens sind alle heile, und wir sind wieder als bewährter Familientrupp unterwegs.

Puke heißt Rambazamba


Solcherart wieder ungebunden und eine Sorge leichter fahren wir über Shkoder Richtung Puke, wo wir im Hotel Tourist übernachten. Dies ist uns noch in reger Erinnerung von der ersten Albanienreise, mir vor allem, weil mein Mann dort mit hohem Fieber im Bett lag, während ganz Muslimisch-Puke das Zuckerfest feierte. Der Blick aus dem Fenster gab eine Art Albanisch-Unimog in Olivgrün frei, der ein rotes Kreuz auf weißem Grund trug… nicht sehr tröstlich, trotzdem. Die mitgebrachten Antibiotika-Vorräte waren jedenfalls schneller im Einsatz.
Nun, dieses Jahr können wir einen typischen albanischen Samstagabend mit Hochzeit genießen, Tanz, Live-Musik und Ramba Zamba bis spät in die Nacht, nur unterbrochen von einem kurzen Wolkenbruch.

Die Urweltfähre fährt nicht mehr

Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg nach Valbona. Da ist außer ein bisschen staubiger Piste kein echtes Offroad-Erlebnis mehr zu erwarten, aber die Landschaft ist fantastisch. In Fierze machen wir einen Zwischenstopp, da wo früher die große Fähre nach Kolman abfuhr. Heute liegen noch zwei rostige Urweltriesen im Wasser, Fährbetrieb ist nur noch für Fussgänger und Zweiradfahrer möglich.

Valbona oder man spricht deutsch...



Über Bajram Curri geht es weiter nach Valbona. Dort landen wir an einem Hotel im Hang, werden auf deutsch begrüßt – die Chefin stammt aus Magdeburg… nach einem üppigen Abendessen – das erste Mal unter sachkundiger Beratung zur Speisenwahl – schlafen wir tief und fest, bis unsere Alarmanlage sich zu Wort meldet. Falscher Alarm, weiterschlafen, und nach Empfehlung unserer Wirtsleute flussaufswärts in dem weiten Tal in Richtung Quelle. Das ist ein lustiges Gekraxel mit dem guten Erich auf den dicken weißen Steinen!
Resümee für diese Exkursion: das Theth-Tal ist fahrerisch interessanter, das Valbona-Tal ist malerischer.

Durchs Drin-Tal


Sehr zufrieden wenden wir uns ab Bajram Curri ostwärts. Meine Albanienkarte weist die Verbindung Richtung Krume und Kukes als 4x4 only aus, was aber nur in kleinen Teilen zutrifft. Hier finden wir wieder das Albanien, das wir kennen: voller „Mercedesse“, und ganz ohne 4x4! Die meistern das ganze auch, in aller Ruhe und Vorsicht, aber landschaftlich ist die Strecke nicht viel wert. Eigentlich ist es nur gut als Einstieg ab Kukes (schönes Fischrestaurant mit Terasse im Stausee!) in das berühmte Drin-Tal, das uns wieder begeistert durch malerische Aussichten und einen wunderbaren Bade-Fluss für die
Kinder, die an „ihre“ Hängebrücke wollten, um sich den Bergegurt zum „Schwimm-Surfen“ ins Wasser zu hängen.
Ein kleines Lagerfeuerchen und gegrillte Würste versüßen uns den Abend, und nach einer frühen und langen Nachtruhe und einem leckeren Frühstückskaffee geht es weiter nach Peshkopi. Das ist eine quirlige Stadt, dem Mercedesfahrer geht das Herz auf, und in der „Bäckerei Istanbul“ gibt es prima Brot!
Wir wenden uns Richtung Mazedonien, nach einem kurzen Kaffeepäuschen in einer Bar, wo ich noch ein paar Leke in Proviant umsetze: frische Okraschoten! Der Boss bietet uns seine Fähigkeiten im Mauernsetzen an - die sind wirklich schön!- solche könne er uns auch in Deutschland bauen. Wir bedanken uns mit Gruppenbild und Handschlag und verlassen Albanien, um an das Nordufer des Ochrid-Sees zu fahren.

Zwischen zwei Seen: Ochrid und Prepansko

Nachtquartier beziehen wir auf einem Campingplatz, der den ursprünglichen Charme des Jugoslawien-Tourismus zu Titos Zeiten atmet. Geändert haben sich eigentlich nur die Muster auf den Plastiktüten und –flaschen, die überall herumfliegen (wer weiß noch, wie die alte „Karstadt-Tüte“ aussah? Mit Violett und Dunkelblau?).
Der schöne See, die Aussicht direkt am Ufer und ein gutes Abendessen aus albanischen Auberginen und Okraschoten mit mazedonischem Gulasch lassen den Abend ausklingen. Am Morgen können wir Wasserschlangen und Kröten beobachten, die sich im Wasser tummeln.
Wir folgen anderen Tages dem Küstenverlauf bis kurz vor die albanische Grenze, wo wir eine rekonstruierte Pfahlbausiedlung aus der Bronzezeit besichtigen. Vom südlichen Ende des Ochrid-Sees windet sich die Strasse nun hinauf auf die Passhöhe zwischen den zwei Seen, ein kleiner Abstecher auf eine aufgegebene Wetterstation gerät dann noch zu einem tüchtigen Offroad-Abenteuer, dass nur unter mächtigem Gerumpel und mit fußläufiger Erkundung zu Ende geht. Dass es auch einen Reifen gekostet hat, erfahren wir erst am nächsten Tag…
Der gute Erich feiert an diesem Tag seinen 200.000sten Kilometer, ein würdiger Ausritt für das treue Tragetier!
Am Nachmittag erreichen wir den See, fahren südlich und stranden in einem Restaurant. Dort gibt es auch Hotelzimmer und hervorragenden Rotwein, gutes Essen: der Beschluss zu bleiben ist gefasst!

Schlauchi und Lächler

Nach einem opulenten Frühstück und Reifenwechsel geht es weiter Richtung Griechenland, nicht ohne dem Reifenhändler in Bitola einen Besuch abzustatten: er zieht dem kaputten Pneu einen Schlauch ein -was beim zweiten Anlauf dann auch zu einem dichten Ergebnis führt – versucht erst einmal, einen Wucherpreis zu kassieren, ist nachher mit der Hälfte bestens zufrieden und hat die interessanteste Dekoration seiner Werkstattwände: Ikonen und ein VW-Plakat, das noch den Derby bewarb, eine Kuckucksuhr, Pin-Up-Kalender, nochmals Ikonen, Bedienungsanleitungen für Reifen, die schon lange die letzte Drehung hinter sich gebracht haben.
Seitdem müssen wir mit einem Schlauchi (Schlaucheinzug im Reserverad) und einem Lächler (Riß an der Karkasse) weiterreisen.

Das Land der Griechen mit der Seele suchend



Beruhigt ob der pneutechnischen Gesundung geht es nach Griechenland. Wieder einmal scheinen wir die Harmlosigkeit in Person: während gänzlich leere Autos einzelner Griechen und Mazedonier noch leerer gemacht werden, werden wir mit unserem dicken grünen Auto voller Campingchaos freundlich weitergewinkt. Nicht einmal der Hund muss seinen Pass zeigen, aber mir ist nicht klar, ob die Zöllner mehr unsere Dreckwäsche scheuen oder den ollen Schafskäse in der Kühlbox…
So kurz, so gut: der Olymp ist nun das Ziel: über Kozani nach Süden und dann von einem kleinen Dorf aus hinauf. Der Weg ist von unten gut zu sehen, und man kann bis auf eine Höhe von 2500 m.ü.M. mit dem Geländewagen fahren. Danach folgt eine Fusspassage zum Gipfel.
Wir machen ausführliche Rast, beobachten Gämsen im Abendlicht, entscheiden dann aber bei einbrechendem Abend und zunehmender Kälte abzusteigen und an die Küste zu fahren.


Der Kulturschock ist vorprogrammiert! Von der Einsamkeit des Götterthrones mitten ins Getümmel von Leptokaria – meine Stimmung ist am Nullpunkt, als wir am Strand einen festgefahrenen Opel sehen. Anhalten, anhängen, rausziehen ist natürlich Ehrensache. Unter Verlust seines Frontspoilers und seines Querlenkers steht das gute Stück dann wieder auf Asphalt, und wir werden für die Heilung unter Substanzverlust noch herzlich bedankt. Ob man uns was helfen könne? Naja, wir haben noch kein Hotel und es ist schon nach 22.00 Uhr… Kein Problem, Achilles (echt wahr!) hat Hotel direkt ums Eck, Parkplatz, Familienzimmer.
Noch ein Bier vor der Lounge, und dann ab ins Bett. Es ist brütend heiß, die Mücken fliegen Luftangriffe, und dann entlädt sich die ganze Atmosphäre.


Als wir am nächsten Tag an der Küste sehen, welche Dreckmuren der Regen zu Tal gespült hat, sind wir ganz froh mit unserer Entscheidung, den Olymp verlassen zu haben. Da gibt es dann an der Küste Brandungsschwimmen: das Meer ist so aufgewühlt, dass sogar der Horizont unruhig erscheint! Und Wasserdurchfahrten durch übergelaufene Flussmündungen, so tief, dass ich zu Fuß vorgehe und mir eine Wasserschildkröte vor den Füßen weghuscht… Eine Pause am Strand bringt uns ins Gespräch mit Reisenden aus der Oberpfalz. Nach einem kleinen Ratsch stellt sich heraus, dass der Herr der Cousin des Mannes meiner oberpfälzischen Cousine ist… Oberpfälzer in aller Welt, eben!
Irgendwie kommen wir mit Griechenland noch nicht so recht zu recht. Das, was wir uns vorgestellt haben, fehlt. Es scheint, als wären wir im Vergnügungspark des ganzen Hinterlandes gestrandet, da, wo alle hinwollen, die viel Sonne für kleines Geld haben wollen und dafür mit Mülltüten bezahlen… Auch ist die Navigation in Griechenland trotz nagelneuem HansHans schwierig. Meine Karte ist in Zusammenarbeit mit dem griechischen Militär entstanden. Mal ist ein Zentimeter 2 km, mal 20 km… das macht es auch im Frieden schwer, zielführend zu arbeiten!


Also beschließen wir, es mit Euböia zu versuchen und gehen auf die Fähre ab Glija. Angekommen auf der Insel stoppt uns direkt ein Einheimischer – ob wir etwas bräuchten? Naja, Hotel vielleicht? Klar, er hat zwei Zimmer und sehr gute Pizza, die Wette gilt. Frühstück gibt es nicht, uns so speisen wir an einem kleinen Strand. Der schönste, Gregorolimao, gehört inzwischen zum Club Med… Wir verbringen den Tag faulenzend am Meer und fahren gegen Abend bis in die Nähe von Edipsou, wo wir zwei Nächte in einem netten Hotel direkt am Meer verbringen. Das ist Erholung pur, bevor wir uns auf den Weg nach Athen machen, dem „Arbeitsziel“ der Reise…

A(then)margeddon


War Leptokaria bereits ein Schockerlebnis, so ist Athen es erst recht. Natürlich kalkuliert man das ein, wenn man von der friedlichen und idyllischen Insel kommt, allerdings muss ich wirklich sagen, dass diese Stadt von unsäglicher Depression und Verwahrlosung erfasst ist, eine Mischung aus Weltuntergang und Jüngstem Gericht. In den Parks liegen in Breughel-artiger Komplexion Betrunkene, Bekiffte, Abgespritzte mit den Köpfen auf Hunden, leere Augen, leere Gesichter, das verstummte Didgeridoo in der Hand.
Man läuft im Müll, den andere durchsuchen, ständig betropft vom Kondenswasser der unzähligen Klimaanlagen.
Jede Nacht gibt das Auto Alarm, das Kofferraumschloss ist an einem Morgen bereits aufgestochen, und während ich auf dem Balkon stehe, sehe ich zu, wie sich im Hauseingang gegenüber eine Gestalt mit Flamme und Löffel und Spritze die nächste Runde zubereitet, um dann in Veitstanzartigem Jubel davonzuhüpfen. Schulen und öffentliche Gebäude sind einfach verrammelt, die Wände besprüht, Polizei ist kaum zu sehen. So stelle ich mir den Weltuntergang vor – Sodom und Gomorrha hätte dagegen noch lustvolle Orgien zu bieten, nicht diese traurige und dumpfe Selbstaufgabe. Welch ein Anblick für so eine schöne, alte, würdevolle Stadt, Wiege abendländischer Kultur und demokratischer Werte! Ich stelle mir vor, welche Verzweiflung die Einwohner erfassen muss, die ihre Stadt lieben, die ein bürgerliches oder irgendwie normales Leben weiterführen wollen, die – so sie noch Arbeit haben – morgens über Müll und halbtote Menschen steigen müssen, zusammen mit ihren Kindern…


Es tut mir leid, dies so schreiben zu müssen. Von der Dachterasse des Radisson-Hotels ist natürlich nur die Akropolis zu sehen, und in der Plaka wird sicher auch für etwas ansehnlichere Szenen gesorgt, doch stammen meine Eindrücke nicht aus der schlimmsten Ecke der Stadt.
Meine Familie flüchtet jeden Tag ans Meer, legt sogar auf Athener Stadtgebiet die eine oder andere Offroadeinlage hin, und nach drei Tagen machen wir uns völlig übernächtig von den ständigen nächtlichen Alarmen wieder auf dem Weg, nun über Korinth nach Rio bei Patras, wo wir die große Brücke buchstäblich links liegen lassen und mit der Fähre fahren („what is the difference? It’s half the price!“).

Kirche mit Aussicht


In Nafpaktos finden wir ein schönes Hotel mit Meerblick, können schwimmen und fahren am nächsten Tag recht zügig Richtung Igoumenitsa, wo wir eine hübsche Offroad-Passage auf der anderen Flusseite von A…ros finden, die uns auf einen Hügel führt, auf dem eine alte Kirche mit uralten Fresken steht. Der Ort gewährt die schönste Aussicht auf die Buchten rund um Parga, und ich vermute, dass sich schon vor vielen hundert Jahren die Gläubigen vor den Mücken der nassen Röhrichtsenke hier hinauf geflüchtet haben, Rettung sozusagen für Körper, Seele und Geist.

Uns gewährt die Aussicht auch die Hoffnung auf einen WoMo Stellplatz am Strand, den wir dann ganz zielgerichtet ansteuern. Dort herrscht das übliche Campingplatzleben: Während eine entzückende und recht bejahrte holländische Dame nur interessiert fragt, wie das Dachzelt funktioniert, schnauzt schon ein dicker Deutscher die Kinder an, weil sie irgendeinen Wasserhahn zu schließen hätten. Dennoch bleiben wir über Nacht. Am nächsten Morgen landet ein reisebusgroßes Wohnmobil, der deutsche Fahrzeuglenker fängt direkt an, sich über den Zustand des Strandes aufzukröpfen – „diese Griechen. Dat kriegen se nich hin, dat kenn ich schon, meine Frau ist ja auch von hier“ – und wir verlassen die gastliche Stätte Richtung Parga.


Weit kommen wir nicht, denn in der nächsten Bucht, klein und verträumt und nur mit einem wundersamen kleinen Restaurant ausgestattet, wollen die Kinder baden und wir lernen eine bayerische Familie mit einem Magirus 4x4 Wohnmobil kennen, die mit ihren drei Kindern gerade die gleiche Gruppendynamik durchlebt wie wir. Also machen wir Gruppentausch: währen die Kinder ihre Dynamik im Wasser ausleben, vertreiben wir Erwachsenen uns die Zeit mit Ratsch und „Rocky“. Abends wird zusammen gekocht, und nach Frühstück und herzlichem Abschied steuern wir Albanien an.

Albanische Riviera


Durch Igoumenitsa hindurch und an der Küste hoch reisen wir über den zweitverschlafensten Grenzübergang bei Nikopolis nach Albanien ein, und fahren an der Küste nordwärts. Mein Sohn und ich besichtigen Butrint, dass durch seine Lage und die Lagunenatmosphäre bezaubert und über eine abenteuerliche Fähre erreicht werden kann: eine Art Floß, dass an Stahlseilen hin und her gezogen wird. Wir fahren durch Sarande, was eigentlich recht charmant erscheint, eine Mischung aus Italien in den sechziger Jahren und seltsamerweise dem mediterranen Nordafrika. Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Gefühl von der Bauweise und Landschaftsstruktur kommt, die sich im Zusammenklang zu einem Bild wie von Paul Klee fügen, oder ob es der muslimische Einfluss ist.
Die erste Bucht, die wir anfahren wollen, wird über einen neu asphaltierten Weg versorgt. Zum Glück kommen uns gleich am Anfang Deutsche entgegen, die uns berichten, dass die ganze Pracht mit einem dicken Stahltor endet. Wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal der Privatisierung, wie der schönste Strand von Euböa…

Diplomatenjagd


Zum Glück ist dies ein Einzelfall – noch. Und so folgen wir ein wenig später vor Lukove noch mal einem verlockenden Schild: Fischrestaurant, alles Öko und mit „Beach Facilities“, aber vor allem anfahrbar nur über einen steilen und verschlungenen Pfad. Da droht keine Gefahr durch Reisebusse und ihren Inhalt, also folgen wir ihm. Was uns erwartet, ist eine kleine Bucht, verschlafen und ein bisschen vertrödelt. Ein tschechisches Pärchen campt wild mit Meerblick, ein Fischerbötchen liegt an seiner Boje, und im Restaurant gibt es leichte Verständnisprobleme. Also wird ein Mensch in roter Sporthose herbeigerufen, der könne wohl etwas deutsch…
Etwas deutsch war dann leicht untertrieben. Unser Dolmetscher und Gesprächspartner entpuppt sich als Journalist, der in Wien studiert hat und momentan ein Ministeramt in einem benachbarten Balkanstaat versieht.
Damit ist der Rest des Tages und Abends gerettet: die Kinder dürfen schwimmen, tauchen und mit dem Fischer rausfahren, um die Netze zu legen, während wir eine der spannendsten Geschichtsstunden durchleben, Hintergrund und Erklärung zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, dem – für uns immer noch so schwer erklärbaren – Krieg in Ex-Jugoslawien und den nun zu erwartenden Entwicklungen.
Die nähere Zukunft der persönlichen Erwartungen an diesen erlebnisreichen Tag gipfelt dann in einem auf dem Feuer gegarten Schwein und einer herzlichen Einladung, die wir leider aufgrund des bereits zur Neige gehenden Zeitbudgets anderentages nicht wahrnehmen können.
Dem aufmerksamen Fischer, der sich bemüht, den Reichtum seiner Bucht zu verteidigen, entgeht in der Zwischenzeit nicht, dass sich ein paar „Fischräuber“ draußen ans Werk gemacht haben. Mit dem Fernglas lässt sich der Tatbestand bestätigen, und nur durch ein paar warnende Schüsse aus der Schrotflinte gelingt es, die Eindringlinge zu verjagen.
Kriminelle Fangmethoden, auch unter Zuhilfenahme von Sprengstoff, führen in dieser Region zu einer drastischen und unselektiven Reduzierung der Fischbestände und haben auch schon etliche Taucher das Leben gekostet.


Am nächsten Morgen werden die Netze eingeholt, und nachdem wir den Fang bestaunt haben, folgen wir dem Ratschlag unseres Gesprächspartners und folgen der küstenseitigen Strasse nach Vlore statt die ungeteerte Bergstrecke zu wählen. Dies erweist sich landschaftlich tatsächlich als atemberaubend. Zwischen 0 und 1000 m.ü.M. nimmt die Strasse ihren Weg und wir gehen mit ihr, durch Vlore hindurch – noch so eine seltsame Tourismuskapitale – und dann so schnell wie möglich, teilweise sogar mit Autobahn, nach Norden, durch Shkoder hindurch und Richtung Vermosh. Es ist schon die vierte Nacht „draußen“, Hotel wäre gut. Gibt’s aber nicht, und wir werden fürstlich belohnt mit einem wilden Platz am Bach. Das Vermosh-Tal enttäuscht uns nicht, der Weg dorthin ist wunderschön. Das Tal selbst ist aber ruhiger und relativ weit. Am rückwärtigen Ausgang wartet der verschlafenste Grenzposten Richtung Gusinje in Montenegro. Mein Mann wird in eine lange Diskussion verstrickt, und ich fürchte bereits Schlimmes, doch das Gesicht meines Mannes spricht eine andere Sprache, und lachend erzählt er, dass einer der beiden Zöllner Tierarztkollege sei…


Auf der Montenegrinischen Seite umschlagen wir das Bergmassiv, und nachdem uns ein Restaurant wegen des Hundes abgewiesen hat, werden in einem anderen kleinen Restaurant liebevoll und mit Handschlag willkommen geheißen und reichlich bewirtet, bevor wir über Kolasin Richtung Niksic fahren. Die Route berechnet unser HansHans auf Basis der kürzesten Strecke, und wie so oft hat das eine ordentliche Überraschung im Gepäck: der Asphalt der Single-Track-Road endet irgendwann, und die Strasse wird immer abenteuerlicher, aber immer noch wimmelt es vor den kleinen „TAM“-Lastwagen. Plötzlich stoppt das, was man als Verkehr bezeichnen könnte, also drei Autos. Mein Mann steigt aus, alle Männer schütteln sich die Hände: auf dem Weg liegt ein großer Erdhaufen, und es gilt nun, auf den Bagger zu warten, der entgegen kommen soll. Also warten wir mit, und kommen mit einem der Herren, der recht gut Englisch spricht, ins Gespräch. Er fährt mit seinem Vater und einem TAM auf den Berg, um die Bienen mit kommendem Herbst rechtzeitig ins Tal zu bringen. Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass er Geographielehrer ist und diplomierter Fremdenführer. Selbstredend versieht er uns mit allen Reisetipps für Montenegro (wiederkommen und abarbeiten!).
Man beschreibt uns den Weg, der über eine Hochfläche mit Almen, die Sinjajevina und erzählt, dass es ganz oben ein Hotel gebe und Hütten zu mieten.


Diese erreichen wir nicht mehr an diesem Abend. Wohl aber sind wir an einem magischen Ort gelandet: Hochgebirge, das aussieht wie die Backenzähne von Elefanten, Täler mit riesigen Gesteinsbrocken, grüne Almen und dann am Morgen nach einer Vollmondnacht, glücklich verbracht auf einer Matschwiese, der See, Jezoro Kapetanevono. Die karge kalte Klarheit eines Septembermorgens zeichnet eher ein skandinavisches Bild, still liegt der See, die Welt hält inne.
Diese kleine Abkürzung lässt alles andere im Schatten stehen, und uns ist klar: Montenegro sieht uns wieder. Aber da wissen wir ja noch nicht, wie es weitergeht, und machen uns auf, um das empfohlene Programm abzuarbeiten. Postion eins: der Kanyon.

Wer bremst, verliert (Zeit)


An die vielen unklaren Geräusche, die unser Erich so von sich gibt, haben wir uns schon fast gewöhnt, immerhin war zu Hause alles für eine Fernreise durchgesehen. Nun aber macht uns vorne rechts ein blödes Schaben Sorge, nach Abnehmen des Rades stellen wir fest, dass es deutlich übertrieben wäre, noch von vorhandenen Bremsbelägen zu sprechen. Heimfahren also unmöglich, und durch Support unseres heimatlichen Toyota-Händlers und ein bisschen „Googeln“ bietet sich die Möglichkeit, das Auto in Podgorica wieder flott machen zu lassen.
Mir wird schwummerig: nie zuvor hatten wir auf Reisen Probleme. Nun sind wir zum ersten Mal mit Vollkasko versichert, und ich bin neues ADAC-Mitglied: vielleicht gibt es eine Art Kausalitätenumkehr?
Kurz und gut, während ich die meisten dieser Zeilen schreibe, sitze ich in Podgorica beim Toyotahändler und warte, dass das Auto wieder fährt…


Nach einer unfreiwilligen Übernachtung in Podgorica, die uns aber einen schönen Abendspaziergang durch die Altstadt beschert hat, heißt es noch bis mittags warten. Dann ist der dicke Erich wieder fit, Bremsbeläge gewechselt, und die Bremsflüssigkeit gewechselt, die bereits aussah wie Alienschleim.
Ich erinnere mich an das alte Titograd der siebziger Jahre: der Dreck und Schlamm auf dem Campingplatz ließ sich nur durchqueren, weil damals auch Holzclogs in Mode waren. Die brachten einen hoch hinaus, doch berichteten die Männer der Familie, dass das Abflussrohr des Urinals direkt über dem Knie des Notdürftigen ein Leck hatte… aber dafür gab es eine kleine Gartenwirtschaft mit bunten Glühbirnen und einem Stehgeiger und einem Akkordeonspieler in speckigen schwarzen Anzügen. Die Gäste waren aufgebrezelt und tanzten paarweise Walzer und Polka. Das fand ich als Kind sehr herrlich, während meine Eltern etwas indigniert die Nase rümpften über den kleinbürgerlichen Schnee von gestern.
Vom Balkon des Hotels mit modernstem Standard meine ich, den Platz noch zu sehen: hinter den Bahngleisen, ein paar Kiefern und die Baracken. Aber es gibt noch einige solcher Ecken in Podgorica, während in der Innenstadt die Musik genauso klingt wie überall auf der Welt…

Über den Nationalpark Lovcen und Dubrovnik geht es zurück nach Hause, noch einmal schlafen, einmal Fisch essen und dann anfangen, das Auto für die nächste Reise fit zu machen. Wir haben ja schon wieder so viel verpasst!