Sardegna Challenge 2015
Wer hat an der Uhr gedreht?
Mit der Grand Erg auf Sardinien
Trauriger Anlass, fröhlicher Kurs: nachdem in diesem Jahr die zehnte Grand Erg nicht in Tunesien stattfinden konnte, aber viele schon auf gepackten Autos und eingereichten Urlauben saßen, hat eine umtriebige Teilnehmerschaft aus Orga und Wettbewerbsfahren beschlossen, dennoch die Ferien – für die süddeutschen Kinder sogar Pfingstferien! – gemeinsam zu verbringen.
Durch die Vermittlung einiger Rallyefreunde fiel die Wahl auf Sardinien. Begleitet von einem Südtiroler Polizisten, der eigentlich Sarde ist, sollten wir die Insel zehn Tage als Freunde und Gäste bereisen.
Erster kleiner Unterschied war die Anreise: statt Genua gab es Livorno, was zumindest für uns nach dem verschneiten Splügen-Pass schon in der Toskana Offroad-Etappen bot, bei denen nicht klar war, wer zuerst nachgibt: Botanik oder Mechanik. Fauna und Funktion einigten sich auf gegenseitige Deformation, und der dicke LandCruiser kam wohlbehalten im Talgrund an. Open Street Maps und TomTom „kürzeste Route“ bieten doch immer wieder die passende Überraschung.
Frei von Überraschung war die italienische Gastronomie: nach Übernachtung im Dachzelt hinter irgendeinem Autogrill irgendwo hinter Mailand war die erste Kaffeebar an der Landstraße unser und sorgte für ligurisches Wohlbefinden!
Abends in Livorno hatten wir Hafenübernachtung geplant, doch wiederholte Regengüsse im Angesicht des schiefen Turmes von Pisa lenkten und zum Hotel der anderen. Campieren auf dem Parkplatz, Essen mit allen! Vorher ein klassisches Wiedersehen mit allen ehemaligen und zukünftigen Weggefährten – der Parkplatz sah aus, wie der vom Hotel Tuareg in Douz…
Doch wie findet man so schnell einen gedeckten Tisch für ca. sechzig hungrige Ex-Rallyefahrer? Kein Problem für unseren Commandante: ein Anruf bei den örtlichen Kollegen, und die Location war gebucht.
Also gab es die erste geballte Portion gut getarnter und wohlschmeckender Kalorien, ein Schläfchen und ein früher Start an die Fähre. Ab da war alles anders für die geübten Nordafrika-Reisenden: die Fähre wurde einfach beladen, fuhr pünktlich los, wurde ständig gereinigt und kam pünktlich an, um dann einfach entladen zu werden. Wo waren die ungelösten Rätsel des tunesischen Zolles, die Sphinxe mit den Stempeln, die Röntgenapparate? Das Heimweh wurde durch den malerischen Anblick des verschlafenen Golfo di Aranci nur kurz besänftigt, dann ging es im Konvoi nach Fonni.
Dazu sind zwei Dinge zu sagen: Konvoifahren hat sich in unseren nächsten Tagen als eine Aufgabe erwiesen, deren Komplexität mir bislang verschlossen war. Alle vorhergegangenen Rallyeveranstaltungen können nur gelungen sein, weil überirdische Kräfte die Hand im Spiel hatten…
Und Fonni! Über 1010 m.ü.M gelegen rechneten wir schon mehr mit Schnee als etwas anderem! Das Anreisewetter war ziemlich bescheiden, und die Kinder nahmen nach der ersten Nacht die Schlafsäcke mit ins Hotel…
Tag eins – Sardischer Vierkampf: Wegfahren, verstecken, rückwärtsfahren, abtauchen
Der erste Tag führt uns rund um Fonni durch Wälder und Felder und Berge auf einen schönen Aussichtsplatz und wieder zurück. Es dauert ein wenig, bis sich der Trupp in Marsch setzen kann, und schon am Tor zur Straße kommt der Autocorso zum Halt. Aber irgendwie geht es Stück für Stück weiter, durch enge Waldwege, Flussläufe und Hügel.
Zwischendurch wartet ein zünftiges Grillgelage in einem schattigen Tälchen, von Einheimischen bereits lecker bestückt mit dem dünnen sardischen Fladenbrot, Schinken, Salami, Käse und gegrilltem Schwein. Der Cannonau, typischer sardischer Rotwein, der Hundertjährigen die Kraft zum Weiterleben verleiht, wird schon mittags in großen Wasserflaschen gereicht und schmeckt überall anders und überall gut… das soll auch die nächsten Tage so bleiben.
Der erste Tag führt uns aber auch schon schnell an einige Grenzen: Kolonnefahren (war ja schon mal erwähnt und wäre ganz leicht, wenn an jedem Abzweig jeder auf seinen Hintermann oder –frau warten würde), dicke Dinger (LKW und Wohnmobil kann sich grenztechnisch nicht ganz so gut mit Fauna einigen) und Rückwärtsfahren (kann jeder alleine prima, bei fünfzehn Autos wird’s blöd), Navigation (wenn der Ortskundige noch am Straßenrand steht , der Rest aber schon im Gemüse steckt).
Meinem Mann geht dann die Ungeduld durch, und er versenkt unseren armen Toyota im Bach. Bis dieser aus seiner Schreckstarre mittels Windenseil erlöst wird, ist der Fußraum bereits geflutet. Aber was soll‘s, trockene Fußräume werden ohnehin überbewertet… nur dass der nächste Einsatz der Hupe zum Dauer-Doppelton führt, ist unangenehm für Mensch und Umwelt. Eine Kneifzange und etwas Tape sorgen für dauerhafte Stille, während die elektrische Sitzverstellung noch ein Weichen ihr Eigenleben führt.
Der erste Tag findet seine Neige und manch ein Autobesitzer viele neue Kratzer im Lack. Der Kampf Macchia gegen Maschine wird auf Sardinien eben anders entschieden als in der Wüste.Abends in Fonni rücken wir auf die Nachbarhazienda aus und bekommen zur Abwechslung mal wieder lecker und reichlich zu essen.
Apropos Essen: wird bei den Sarden sehr ernst genommen und dauert lange. Wer also zum Mittagessen zu spät kommt, hat gute Chancen, direkt ins das Nachtmahl überzugleiten. Für die Routenwahl ist dies zu berücksichtigen!
Am nächsten Morgen machen wir uns auf und erklimmen den Supramonte, ein hochgelegener Nationalpark mit fantastischen Ein- und Ausblicken. Die Pflanzen stehen in voller Blüte, allen voran der Affodill, der ganze Flächen sichtbar ziert. Eine Reifenbreite vom Weg abgekommen, wird sofort der Duft des Thymians deutlich – beim gegrillten Schwein macht er sich seltsamerweise rar.
Leider ist auch diese Strecke nichts für unsere „Dicken“, die zur ersten Rast schon umkehren müssen. Wir Kleineren fahren weiter. In der Trockenheit des Bodens wirbeln die Fahrzeuge Staub auf: „Feenstaub“ sagt mein Mann, und in den verwunschenen Wäldern traue ich ihm so viel Romantik beinahe zu.
Wir sind spät zu unsere Mittagsrast. Was uns erwartet, ist gut vorbereitet: Schaf auf dem Grill, sardisches Fladenbrot mit Honig und Frischkäse, Rotwein (…) und Live-Musik. Traditionelles, Tenöre mit vielstimmigem Kehllautgesang und eine Pop-Einlage unserer Übersetzerin Elena rühren viele ans Herz und manchen sogar an die Tränendrüse.
Abends wäre Camp im Freien angesagt, doch ein aufziehendes Unwetter bewegt unseren Commandante, ins Hotel abzudrehen. Gut so, und gut, dass das Hotel flexibel genug ist! Es regnet nicht nur, es schüttet!
Nach ungeplanter Hotelübernachtung geht es Richtung Meer. Etliche Straßenkilometer auf der „Orientale Sarda“, fahrerisch uninteressant, aber mit tollem Panorama, ein bisschen durchs Gelände, eine separate Route für die „Großen“. Dafür empfängt uns zu Mittag ein kleines Kirchlein, wo schon etliche Wild-West-Filme gedreht wurden, mit einer speziellen Atmosphäre, gegrilltem Tier und frei herumlaufenden Schweinen, Kühen und Eseln.
Die Filmkulisse entlässt uns und wir fahren Richtung Meer. Im Flussbett ist wegen einer Schranke irgendwann Ende, die Unentwegten laufen weiter und gehen auch schwimmen, obwohl das Barometer immer noch auf „regnerisch“ steht.
Plan ist: Zurück nach Fonni. Doch ein LKW-Schaden zwingt einen Teil der Truppe, im Flussbett zu bleiben. Der Not geschuldet wurde trotzdem das Beste daraus, eine Nacht draußen, Bier von der „Blauen Gefahr“, dem Rallye-Catering-Fahrzeug, und ein kleines Lagerfeuer.
Der darauffolgende Tag sollte eigentlich eine echte Überführungsetappe werden, von der südöstlichen an die nordwestliche Küste. Und zum ersten Mal wird die Kolonnenpflicht aufgehoben, und die Grand-Ergler können tun, was sie am besten können: frei fahren und frei navigieren.
Wir stellen den Wecker auf sechs Uhr, um dann festzustellen, dass niemand wach ist, schlafen noch eine Stunde und brechen dann auf nach Cabras, wo wir auf den Trupp auflaufen, der von Fonni gestartet ist. Bei den anderen dauert es etwas länger, und so verbringen wir den meisten Teil den Tages in einem netten Fischrestaurant und lassen es und gut gehen.
Zusammen mit neuen ortskundigen Guides geht es auf die Halbinsel Sinis, die uns ein ganz anderes Sardinien zeigt. Kannten wir zunächst nur die Berge und die Küste im Südosten, beherrschen hier weite Sandstrände, grüne knietiefe Macchia und das strahlende Blau des Meeres die Kulisse. Die fischreiche Lagune soll voller Flamingos sein, zwei davon fliegen über unsere Köpfe hinweg.
Die Übernachtung könnte malerischer nicht sein: am Strand mit Blick auf das blaue weite Meer, Verpflegung aus der blauen Gefahr, das ein oder andere heimische Bier und dann das große Blau der Nacht (Bierblau ist keine RAL-Farbe!).
Das Frühstück am Strand und noch eine kleine Runde auf der Halbinsel führen und zurück nach Cabras, wo wir unseren Trupp verlassen. Es hat sich erwiesen, dass die Grand Erg am besten Cannonball Race fährt, und so nehmen wir Kurs um selbst um den Lago di Omodeo herumzufahren. Aber natürlich finden wir uns schneller als gedacht alle wieder, und nach einer schönen Landschaftsetappe und einem Testritt auf der WRC-Stecke landen alle in Fonni und dann in der Nachbarhazienda und dann im Bett (Cannonau-Blau ist übrigens auch keine RAL-Farbe).
Am den nächsten Mittagessensplatz (Anm. s. o.), treffen wieder zusammen, fahren auf Feldwegen an der Küste und Steilküste, um uns dann wieder zu zerstreuen. Es geht nach Viddalba, wo sich in der Nähe eine Thermalquelle in einen Flusslauf ergießt. Je nachdem, wie warm man es will, badet man einfach näher oder ferner der Quelle. Ein gutes Camp in einem schönen Tal, Wasser und die Aussicht auf eine Kanutour – was will man mehr.
Lediglich die Warnungen der Einheimischen waren spannend: niemals dort zelten, wo das Gras noch grün ist. Der Wasserstand wechselt rasch und ist tückisch, was einem Kraftwerk und den Gezeiten zu verdanken ist.
Die lokale Polizei wird vorstellig und erfreut sich an deutschem Fassbier (Thema blau: s.o.).
Der nächste Tag bringt einen lang ersehnten Höhepunkt der Reise: wir paddeln ab! In Einer- und Zweierkajaks geht es flussabwärts, sechs Stunden mindestens, wie der Kanuverleiher uns sagt.
Am Anfang ist es eng, hat viele Bäume und Äste, ein paar kleine Schnellen, und nach ein paar Pausen auf Sandbänken und mit immer weniger Trinkvorrat geht es hinaus in die Ebene. Mit Gegenwind zieht sich der Schluss ein wenig, doch wir landen alle glücklich und müde an der Mündung.
Alle? Fast alle. Ernst ist schon da. Der Marathon-Paddler hat die ganze Strecke in kürzester Zeit absolviert und landweilt sich wahrscheinlich schon zu Tode, während wir noch über eine Strategie des Zweier-Synchron-Paddelns nachdenken.
Die wilden Offroad-Fahrer und Onstream-Paddler erwartet ein jäher Kulturschock angesichts eines (eigentlich ganz normalen) Campingplatzes als Nachtquartier: das hatten wir ja gar nicht mehr im Sinn! Aber rund um die Kneipe und die Blaue Gefahr lässt es sich für eine Nacht aushalten, und es gibt zur Abwechslung Pizza! Morgens schwimmen, wer mag, und dann geht es auch schon weiter in ein kleines Nest in der Nähe von Padru. In einem Wirtsgarten, der jedem italienischen Kochbuch zur Ehre reichen würde, gibt es zum Mittag und zum Abschluss gekochtes und gebratenes Tier und viel roten Wein…
Eine schöne Nachmittagsetappe führt und noch einmal hoch hinauf, an glasklare Flussbetten zum Baden und an eine Kneipe und ein Garage zum Abschluss. Letztere diente der Verkostung heimischen Weines, der wirklich sehr köstlich war.
Nach einigen Abschiedsgetränken an der Blauen Gefahr und einer recht kurzen Nachtruhe ist auch schon der Weg nach Golfo di Arancia angepeilt. Wir starten früh und haben noch Zeit zum Einkaufen, Baden und Frühstücken, und dann wartet schon das Schiff – pünktlich.
Uns bleibt nach dem Adieu-Sagen noch eine schöne Übernachtung in Livorno am Meer, ein Stop am Gardasee und eine letzte Rast im Inntal, und wir können getrost sagen: Ohne Sand ist auch mal schön!