Balkan rundherum Teil 2
Von Izmir Richtung Heimat
Nach ein paar wunderschönen Tag in der glühend heißen Stadt verlassen wir Izmir. Natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Männer allesamt wieder frisch rasiert und geschoren im Weg zurück nach Europa antreten. Bis hin zur Haaren im Nasen und Ohren ist alles nach orientalischer Sitte gepflegt und wieder picobello.
Auf dem Weg zu den Dardanellen erleben wir eine kleine Überraschung: wo auf dem Hinweg noch Buschfeuer wüteten, fällt nun Regen, macht die Straße nass und erschreckt damit die Einheimischen, die solche Wettereskapaden nicht gewöhnt sind.
Auf direktem Weg machen wir uns über den Grenzübergang Ipsala auf den Weg Richtung Nordgriechenland. Nach einigen netten Stopps und interessanten Imbissbuden-Besuchen überfällt uns langsam die Müdigkeit und die Nacht. In der Nähe von Kozani suchen wir auf einem Feld einen Platz um unser Dachzelt aufzuklappen.
Als alles schon steht, blicke ich nach oben: wir stehen direkt unter Hochspannungsleitungen! Zunächst machen wir uns nichts draus. Doch als die Kinder ins Dach Zelt klettern, sagten sie, dass sie kleine Stromschläge spüren würden! Kurz und gut, schnell wird das Dachzelt wieder zusammengeklappt und ein Stück weiter vor der elektrischen Gefahr sicher wieder aufgebaut.
Am nächsten Morgen wenden wir uns Richtung Albanien. Die Grenzformalitäten halten sich sozusagen durchaus in Grenzen, und wir folgendem albanischen Ufer des Ochrid-Sees. Hier ist noch ein kleiner Ansatz von Tourismus zu erahnen, aber als wir uns nach Liberzh Richtung Peshkopi in die Berge wenden, sind wir weitgehend allein.
Where have all Mercedes gone...
Nicht allein sind wir im übrigen in diesem Land mit unserer Vorliebe für das Mercedes Modell W 124! Es scheint als wäre die gesamte schwäbische Produktion mittlerweile in diesem kleinen Land versammelt. Also, falls ich einmal Ersatz für meinen alten, treuen Kombi brauche, weiß ich ja, wo ich suchen muss.
Albanien ist faszinierend. In dem kleinen turbulenten Städten manchmal etwas bedrückend, aber unendlich beeindruckend in den Bergen und in der Natur. An gewisse Kleinigkeiten muss man sich allerdings gewöhnen...
Zum Beispiel erstaunt es den Navigator, dass anders als in anderen Landkarten hier nur eine "rote" Straße zu finden ist, die asphaltiert ist. Alles, was dahinter kommt, und in der Karte gelb markiert ist, ist nicht etwa ein wenig kleiner, sondern nahezu nicht mehr vorhanden. Diese Sträßchen oder Feldwege sind seit dem Mittelalter nahezu unverändert geblieben. Dafür spricht auch, dass der Straßenuntergrund häufig gepflastert ist. Alte Römerstraßen und mittelalterliche Handelswege wurden in Nord-Süd-Richtung immer weiter genutzt. Dies vereinfacht die Navigation, denn sollte man die Wahl haben, sich zwischen zwei Feldwegen zu entscheiden, so schaut man einfach, welcher der beiden gepflastert ist: kein Bauer pflastert den Weg zu seinem Stall, demzufolge heißt, dem gepflasterten Weg zu folgen, sich auf der Hauptverkehrsstraße zu bewegen.
Andere Mentalitätsunterschiede konnten wir bei einem Badeausflug in einem kiesigen Flussbett beobachten: So fährt ein kleines rotes japanisches Auto in dem Flussbett vor uns. Ihm entsteigen zwei Frauen, zwei Kinder, zwei Männer. Offenbar wollen sie auch baden.
Von einem lauten Schlag erschreckt fahren wir plötzlich zusammen: eine Wasserfontäne spritzt empor, und angesichts der bewegten Geschichte des Landes fällt mir nur ein, dass es sich um eine Landmine handeln müsse. Die albanische Familie bleibt allerdings völlig gelassen, und beginnt in aller Ruhe die Wasseroberfläche abzusuchen. Mein Mann hat die Erklärung: das lauschige Outdoorhobby heißt Dynamitfischen! Einige Male wiederholt sich das Spektakel, dann kann mein Mann es nicht lassen und lässt sich das Corpus Delicti zeigen: Plastiksprengstoff aus dem Straßenbau wird hier zur Verbesserung der Proteinration eingesetzt.
Kopfschüttelnd folgen wir nordwärts den Schluchten des Flusses. Wild campen ist in Albanien erlaubt. Erlaubt heißt, es ist jedenfalls nicht ausdrücklich verboten. Wie sollte es auch sein, Campingplätze sind hier nicht vorhanden, und dunkel wird es trotzdem.
Also schlagen wir an einer Straßenbaustelle etwas versteckt in einem bergigen Hang unser Nachtquartier auf. Es riecht kräftig nach Wildschweinen, und ein Hinweisschild an einem Naturschutzgebiet macht uns darauf aufmerksam, dass es auch Bären gibt. Trotzdem schlafen wir ruhig und unbeirrt.
Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zu einem Stausee. Von hier soll man, wie uns österreichische Radfahrer berichtet haben, unter spektakulärer Kulisse einen auf dem Landweg nicht fahrbaren Weg westwärts durch die Berge zurücklegen können. Dieser dient als nahezu einzige Möglichkeit, von der Küste in das bergige Hinterland zu kommen. Von dort kommt man nach Norden nur Richtung Mazedonien wieder heraus. Die relativ urwüchsigen Monster von Fährschiffen werden auch in dem einzigen Albanienreiseführer erwähnt, dort finden sich Hinweise auf die Fahrzeit dieser Fähren. Dumm ist nur, dass man von dem Abfahrtspunkt der Fähre keinen Ausweg hat – verpasst man sie, muss man den ganzen Weg wieder zurückfahren. Der geübte Leser erkennt nun schon, was sich abzeichnet: da gibt man sich Mühe und plant alles akribisch, aber das Scheitern ist eigentlich schon vorprogrammiert. Diese üble Vorahnung beschlich uns auch schon, als wir die Lage auf der Karte betrachteten. Und tatsächlich kamen nennen Abfahrtsort der Fähre, wo auch noch andere deutsche Touristen mit Geländewagen suchten und warteten, um dann festzustellen deswegen Instandsetzungsarbeiten die Fähre selbst nächsten Wochen oder Monate nicht fährt. Also hieß es den ganzen Weg in Serpentinen zurückzufahren, schöne asphaltierte Straßen zwar, aber zweiten Mal dann vielleicht doch nicht mehr so spannend, um dann auf die Straße nach Shkoder einzubiegen.
Was sich außerdem schon mit ein wenig Vorahnung abzeichnete, war, dass sich der Gesundheitszustand meines Mannes deutlich verschlechterte: klagt er zunächst nur um über etwas Unpässlichkeit in der Magengegend, hatte er nun auch Schmerzen beim Atmen und zunehmend hohes Fieber. Den Reiseführer zurate gezogen, entschieden wir, unseren Weg über Puke zu nehmen, der einzige Ort in Albanien, dem der Autor des Reiseführers zugetraut hätte, beinahe etwas zu werden wie ein Touristenmagnet. Hier haben ein paar Schweizer ein Biobrauhaus aufgebaut und es gibt ein Hotel, dass sich tatsächlich als solches bezeichnen darf, sauber, freundlich und mit gutem Essen.
Kleiner Trost gegenüber den Sorgen, die man hat, wenn man in solchen Gegenden ein krankes Familienmitglied mit dabei hat, wenig tröstlich, aber bemerkenswert auch die liebevoll für jeden Gast am Bettende bereitgestellten gefütterten Plastikhausschuhe...
Da hilft auch der Blick aus dem Hotelfenster nichts, der ein unimogartiges, mindestens 50 Jahre altes tarnfarbiges Ungetüm mit einem roten Kreuz auf weißem Grund preisgibt. Mir fällt in diesem Zusammenhang nur ein, dass das auswärtige Amt dringend rät, ärztliche Behandlungen in diesen Ländern nach aller Möglichkeit zu vermeiden, und so entscheiden wir uns für den Griff in die tierärztliche Hausapotheke, was dazu führt, dass sich der Zustand des Patienten mithilfe eines Entzündungshemmers und eines Antibiotikums relativ rasch zum Besseren wendet. In Puke feiert während dessen der muslimische Teil der Bevölkerung das Zuckerfest, also das Ende des Ramadan, und auch wir werden zum Essen im Hotel gebeten. Der Gesundheitszustand meines Mannes zwingt uns leider, das Angebot auszuschlagen, wobei ich den Eindruck habe das dies schon fast als Unhöflichkeit empfunden wurde.
Dennoch brauchen wir ein wenig Erholung, und der Kinder wegen soll diese Erholung am besten am Strand stattfinden: also beschließen wir am darauf folgenden Tag, nachdem wir Albanien hinter uns gelassen haben, an die montenegrinische Küste zu fahren. Wo wir dann landen, ist ein richtiger Touristenrummel, voller Russen, Ukrainer, Serben und allen, die keinen direkten Zugang zum Mittelmeer haben. Meine letzten Erinnerungen an das ehemalige Jugoslawien stammen ungefähr aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrtausends. In Sachen Installationstechnik im Hygienebereich scheint sich in der Zwischenzeit nicht wirklich viel ereignet zu haben, auch wenn die bunten Vorderfronten der Büdchen und Bars mit Internetcafé und WLAN werben - geht man hinten um die Ecke, herrscht das alte Bild, geruchsintensiv und dominiert von kapitalen Kakerlaken…
Camping am Strand ist also nichts für schwache Nerven, auch nichts für schwache Mägen. Dennoch tut uns der Tag am Wasser gut, und dann brechen wir auf, um Dubrovnik zu besichtigen. Die große Küstenstraße, die berühmt berüchtigte Magistrale beeindruckt auch uns mit ihrer landschaftlichen Schönheit; ihre Ambivalenz wird uns bewusst beim Passieren eines schweren Unfalls, den mindestens ein Motorradfahrer sicherlich nicht überlebt haben dürfte…
Dubrovnik: am Tag tobt der Rummel, abends wird es ruhiger. Die schöne alte Stadt trägt voller Stolz und mit subkutanem Vorwurf die Wunden, die der Krieg gerissen hat. Aus der Erinnerung ist es immer wieder erschreckend, wie unzugänglich die Innenstädte geworden sind, welche Mengen an Fahrzeugen und Menschen sich durch die Gassen drücken. Die Idee, in der Tiefgarage des Hilton zu parken, erweist sich als zwar zentral, aber vergleichsweise kostenintensiv. Dennoch genießen wir unseren Rundgang durch Dubrovnik, und gestärkt mit einem guten und reichhaltigen Essen folgen wir der Magistrale wir weiter gen Norden.
In der Nähe von Split finden wir unser fast letztes Nachtquartier: ein nagelneues, schönes, vielleicht etwas nichtssagendes Hotel mit Pool und direktem Strandzugang. Am drauffolgenden Tag tauschen wir die Magistrale in der Autobahn, und halten oberhalb der Krka an, wo man von einem Autobahnrastplatz einen wunderschönen Blick aufs Skradin hat. Wir haben es nicht eilig und verlassen die Autobahn, verbringen unseren letzten Tag badend und bummelnd in Skradin, um uns in den Nachmittagsstunden Richtung Österreich zu wenden. Da sind wir nicht die einzigen, und an der Grenze zu Slowenien wird der Verkehr immer wieder angehalten, damit der Stau nicht zu heftig wird. Da bewährt sich wieder das gute Dachzelt: wo andere auf einer Decke einer dreckigen Wiese sitzen müssen, legen wir uns einfach ein bisschen schlafen, um in den Morgenstunden ungestört nachhause zu fahren.
Zweieinhalb Wochen Balkan, Osteuropa, Türkei: wir haben viel gesehen, wir haben viel erlebt, wir haben viele innereuropäische und außereuropäische Grenzen überschritten, Anton hat in drei Tagen Albanien 940 Bunker gezählt, und für uns steht schon fest: wir kommen wieder!